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100 Jahre Gemeinde Katerini

Pfarrer Dr. Streck besucht Evangelische Gemeinde in Griechenland


I


Im November fuhr ich zum Jubiläum 100 Jahre Griechische Evangelische Kirche von Katerini, eine Gemeinde die wir zuletzt im Mai besucht hatteb. Ich wusste, dass 1923 eine sehr schwere Zeit war. Die Evangelischen in Katerini waren 1922 aus dem Pontos und aus Kleinasien mit blutiger Gewalt vertrieben worden. Sie waren Flüchtlinge und hatten nichts. Wäre es nicht gut, wenn aus der Evangelischen Kirchengemeinde Dörnigheim jemand zu dem Jubliäum nach Katerini fährt?
 Am Flughafen in Thessaloniki nahm ich einen Mietwagen. Gegen 17 Uhr kam ich in der Odós Nikomidías an. Frau Theanó Xanthópoulou führte mich in mein Quartier. Es ist eine Gästewohnung in einem Haus gegenüber der Evangelischen Kirche. Dort ist auch ein Saal und die Food-Theke der Gemeinde. Ich hatte es gut: eine große Wohnung. Theanó hatte für mich eingekauft. Ich hatte zu essen und zu trinken. Ich richtete mich ein und zog mich um. Um 19 Uhr nämlich begann der Vortragsabend.
Eine halbe Stunde vorher hörte ich Glocken. Ich hatte  die Fenster offen, der Tag war mit über 20 oC richtig warm gewesen. „Ein feste Burg ist unser Gott“ spielten sie, eine ganze Strophe. Dann noch eine, aber diesmal begleitet von der Orgel. Was die Orthodoxen können (Lautsprecher draußen an den Kirchen), können die Evangelischen also auch! Ich ging hinüber in die Kirche und wurde von einzelnen persönlich begrüßt.  
Pastor Nikos Stamoúlis eröffnete den Vortragsabend, begrüßte mich offiziell und bat mich zu sich nach oben auf die Kanzel für mein Grußwort. Ich nahm die Herrnhuter Tageslosung für diesen Tag (Jesaja 66, 13) auf. Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Dann wies ich darauf hin, dass die Gründer der Gemeinde damals Trost brauchten, aber seitdem vielen anderen Menschen Trost gespendet haben, Juden und Flüchtlingen im 2. Weltkrieg oder aktuell Flüchtlingen durch ihr Hilfswerk „Perichóresis“. Zum Schluss dankte ich, dass unsere beiden Gemeinden in Kontakt stehen, und wünschte ihnen für die Zukunft Gottes Trost. Pastor Stamoúlis überreichte mir eine Jubiläumskerze.
Drei Vorträge wurden gehalten. Antónis Kálfas stellte die Mitglieder der Evangelischen Kirche von Katerini  vor, die sich für die Stadt und ihre Einwohner besonders eingesetzt haben. Beispielsweise war einer Bürgermeister der Stadt.
Georgios Zaïmis sprach über das musikalische Leben der Gemeinde. Von Anfang an gab es große Chöre. Eigene Gesangbücher wurden herausgegeben. Alle Lieder sind vierstimmig abgedruckt. Im Gottesdienst singt die Gemeinde spontan mehrstimmig. Ioánnis Adamidis hat über Jahrzehnte die Chöre geleitet und die Orgel gespielt. 1980 wurde durch einen schwäbischen Orgelbauer eine große Pfeifenorgel errichtet. Ioánnis Adamidis leitete die Musikschule der Stadt Katerini und war Dozent an der Aristotelis-Universität in Thessaloniki.  
Jánnis Tsewás Beitrag behandelte Vaterlandsliebe, Fremden/Gästeliebe und Menschenliebe. Siebzig Männer aus der Gemeinde sind im 2. Weltkrieg gefallen. Jeden einzelnen hat Jánnis Tsewás mit Namen genannt, von fast jedem zeigte er eine Photo. Das brauchte Zeit. Es war still und sehr dicht. Ich vermute, jeder hörte Namen aus der eigenen Familie. Manche weinten, auch der Referent, viele beteten. Nach der Vaterlandsliebe ging er weiter zur Liebe gegenüber Fremden und Gästen (xenofilía). Die griechische Sprache hat für beides ein Wort – xénos. Du kommst als Fremder und wirst aufgenommen als Gast! Wieder in schwerer Zeit, im Zweiten Weltkrieg, halfen Gemeindeglieder englischen, australischen und neuseeländischen Soldaten, die vor den deutschen Besatzungstruppen zurückwichen. Sie halfen Juden und versteckten sie in Bergdörfern. Und sie halfen deutschen Soldaten, dass sie in britische Gefangenschaft kamen und nicht in den Norden, wo Kommunisten die Oberhnd gewonnen hatten. Als Beispiele für die Nächstenliebe nannte Jánnis Tsewás schließlich das Haus, das die Gemeinde für Kriegswaisen erbaute und die Unterstützung der hungernden Menschen in Athen mit Lebensmitteln in und nach dem Zweiten Weltkrieg.  
Erst um zehn Uhr war die Veranstaltung zu Ende. Wir gingen nach nebenan in das Gemeindehaus. Dort hatte es einen Imbiss und eine große Ausstellung über die Geschichte der Gemeinde. Viele Photos waren zu sehen, auch ganze Photoalben aus Privatbesitz. Bilder aus der Anfangszeit von Leptokaryá waren zu sehen, auch ein Telephon aus den 50er Jahren, von Jugendlichen ungläubig bestaunt!
Am Sonntag gab es einen feierlichen Gottesdienst. Doch langsam: Kaffee konnte ich mir nicht machen. Der Strom war ausgefallen. Ich dachte, es läge am Boiler in der Gästewohnung. Doch im ganzen Viertel gab es keinen Strom. Die Gemeinde hatte darum gebeten, dass es verschoben wird. Doch es ließ sich nicht verschieben. In der Kirche – sie war etwas schummerig ohne elektrisches Licht – probte der Chor der Sonntagsschule. Glücklicherweise stand ein Harmonium neben der Kanzel. Dieses alte Instrument läuft ohne Strom. Der Musiker macht den Wind mit zwei Pedalen. Die Orgel ist lauter. So hörte sich die Gemeinde besser singen. Pastor Stamoúlis brachte die Gemeinde zum Lachen: Wie vor hundert Jahren eben: ohne Strom. Es war ein schöner Gottesdienst, zumal wir Abendmahl feierten.  
Die Vortragenden vom Vorabend und der Kirchenvorstand trafen sich zu einem Mittagessen in einem Restaurant. Auch ich war eingeladen und hatte Gelegenheit zu vielen Gesprächen. Auch Pastor Ioánnis Yfantídis war dabei. Er ist im Ruhestand und kümmert sich um Sinti und Roma, die in Katerini leben.  
Am Abend gab der Chor der Gemeinde ein Konzert. Der Chor hat 35 Mitglieder, in allen Stimmen singen auch Jugendliche mit. Ioánnis Adamidis leitete das Konzert. Er saß hinter dem Pult des Dirigenten auf einem hohen Stuhl. Mit leisen, verhaltenen Bewegungen, aber ganz präsent führte der den Chor. Die Evangelische Kirche freute sich, dass der Metropolit von Katerini, Geórgios Chrysostómou, gekommen ist. Er wurde freundlich begrüßt und sprach kurz. Leider waren der Metropolit und ich die einzigen externen Gäste beim Jubiläum der Gemeinde. Der aktuelle Bürgermeister erschien nicht, er hatte die Wahl im September verloren. Und sein Nachfolger tritt erst mit dem Neuen Jahr sein Amt an. Am nächsten Tag war ich mit Paris Papageorgíou in Katerini verabredet. Er hatte sich Zeit genommen für ein längeres Gespräch.  Wir erzählten einander aus dem Leben unserer Kirchen und persönliche Dinge. Wir beide haben in Heidelberg studiert und haben 5 Kinder. Paris erzählte, dass seine Kirche und die Kirche, von der aus sie vor nicht ganz 200 Jhren gegründet wurden, die United Church of Christ in den USA, sich irgendwie auseinanderentwickelt haben. Das betrifft durchaus wichtige Fragen des kirchlichen Lebens. Ich konnte Paris nach der Form des Abendmahls fragen.  
Er selber hat viel in der Gemeinde zu tun, öfter leitet er den Gottesdienst. Pastor Nikos Stamoúlis erledigt die Arbeit von zwei Pfarrstellen.  Er ist seit Mai als Gemeindepfarrer der Nachfolger von Pastor Ioánnis Yfantídis. Die beiden verstehen sich sehr gut. Doch Stamoúlis muss auch die Stelle des Jugendpastors, die er vorher ein paar Jahre innehatte, vertreten. Das ist viel. Regelmäßig trifft er sich mit dem Metropoliten, der übrigens die Orthodoxe Kirche Griechenlands schon länger in der Griechischen Bibelgesellschaft vertritt und von dort den Kontakt mit Protestanten gewohnt ist. Die große Sorge der Gemeinde ist, dass die jungen Leute wegen Ausbildung und Arbeit wegziehen.  
An dem Abend haben wir uns verabschiedet. Es war gut, dass ich nach Katerini gefahren bin, und Segenswünsche aus Deutschland überbracht habe. Die EEEK hat sich sehr gefreut über dieses Zeichen der Verbundenheit und mir Segenswünsche für die Evngelische Kirchengemeinde Dörnigheim mitgegeben.